Prof. Dr. Dr. Klenner

Prof.Dr. Dr.Wolfgang Klenner

  • Print

Prof.Dr.rer.nat.Wolfgang Klenner, Diplom-Psychologe, Klinische Psychologie, Forensische Psychologie und Psychologische Beratung

Prof. Dr. Klenner berichtet von einer unglaublichen Episode aus dem Dezember 2005 (Textlayout, wie Unterstreichungen, Einschiebungen und eckige Klammern von Bert Steffens, Andernach):

(Zitat)

„Neulich, bei einem nachbarlichen Zusammensein, kam das Gespräch auf den in der F.A.Z. vom 30.11.2005 besprochen Fernsehfilm der ARD „In Liebe eine Eins“. Vor allem diese Szene sorgte für Empörung, da die kurz vor der Entbindung stehende Mutter einen Gynäkologen aufsucht, als eine Vertreterin des Jugendamtes hinzukommt, um vom Arzt den Geburtstermin zu erfahren. Dazu erklärt sie :

„Nach der Geburt findet dann die Übergabe des Neugeborenen statt“.

Darauf sagt der Arzt, mehr zu sich selbst :

„So etwas Grausames ist mir noch nicht vorgekommen.“

Das sei frei erfunden und in Deutschland gar nicht denkbar, war die einhellige Meinung.

Da brachte ich es nicht über mich, als einer, der in seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als psychologischer Gerichtssachverständiger in Vormundschafts-, Jugendstraf- und Familiensachen zwar nicht alles, aber doch viel gesehen hat, diese nachbarliche Runde ihrer Ahnungslosigkeit zu überlassen.

So berichtete ich ihnen von zwei Familien, die vom behördlichen Übereifer zerstört wurden. Beide Male wurden die Neugeborenen auf Betreiben der Jugendbehörde ihren Müttern aus dem Wochenbett ohne Wiederkehr weggenommen. Den Müttern war erklärt worden, das Kind müsste noch einmal untersucht werden und darum müssten sie es hergeben. In beiden Fällen begründete die Jugendbehörde, durch die Wegnahme der Neugeborenen solle einer Vernachlässigung vorgebeugt werden, wie sie angeblich bei den schon vorhandenen Kindern festgestellt worden sei. Darum sollen die Säuglinge in einer Pflegestelle aufwachsen, wie es dann auch geschah.

Im einen Fall, der sich in Mönchengladbach ereignete, war bei dem erstgeborenen, den Eltern bereits weggenommene Kinde der körperliche Entwicklungsrückstand mangels Sachkenntnis fälschlich als Folge von Vernachlässigung gedeutet worden. Tatsächlich war das Kind ein Risikopatient, was erst nach einem Jahrzehnt nachgewiesen werden konnte, als ein Rechtsanwalt an die bis dahin zurückgehaltenen Krankenakten herankam.

Den zweiten Fall betrifft eine ebenfalls aktenkundig gemachte, diesmal kinderreiche Familie, von der eine Familienhelferin in ihrem Bericht ihren persönlichen Eindruck beschrieb, die Mutter sei eine Frau, die nur an Kleinstkindern, die man noch richtig knuddeln könne, interessiert sei. Im übrigen sei sie aber unfähig, die Bedürfnisse der schon heranwachsenden Kinder zu erkennen und zu befriedigen. Einmal schwarz auf weiß wurde das unbesehen als bare Münze genommen. Dies geschah in Münster/Westfalen und zog einen Rechtsstreit nach sich, der erst bei der Europäischen Menschenrechtskommission (EMRK) [diese Abkürzung meint in der Regel „Europäische Menschenrechtskonvention“, gemeint ist hier sicher das „Europäische Gericht für Menscherechte“ (EGMR)] in Straßburg zu Gunsten der inzwischen im Lande zerstreuten Familie entschieden wurde.

Angesichts des schlechten Rufes, in dem die Jugendämter stehen, ist gerechterweise die Frage zu beantworten, wie es überhaupt zu solchen behördlichen Fehlleistungen kommen kann. Das ist rasch erzählt. Anfangs, als sich die Mitarbeiter noch Fürsorger und Fürsorgerinnen nannten, wurden die Jugendämter als eine verlässliche Behörde anerkannt. Das änderte sich 1991 mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), welches das bis dahin geltende Jugendwohlfahrtgesetz (JWG) ablöste. Da wurden die Jugendämter aus der Fachaufsicht der Landesjugendämter (ist strittig) herausgenommen , so dass sie gegenwärtig überhaupt keine Fachaufsicht mehr haben.

Als eine der verhängnisvollen Folgen erwiesen sich die §§ 42 und 43 KJHG, wonach Jugendämter nach eigenem Ermessen die Maßnahme der „Inobhutnahme“ von Kindern anwenden können.

Zuvor war dazu die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts durch Glaubhaftmachung, es sei „Gefahr im Verzuge“, erforderlich. Jetzt ist das Vormundschaftsgericht erst einzuschalten, wenn der Personensorgeberechtigte der Herausnahme nicht zustimmt. Im Unterschied zu dem vor 1991 geltenden Recht büßte das Vormundschaftsgericht, heute das Familiengericht, nicht nur seine Kontrollfunktion ein, ob tatsächlich „Gefahr im Verzuge“ ist, sondern vielmehr noch besteht eine Rechtsunsicherheit, weil gegen eine nach dem KJHG durchgeführte Maßnahme kein Rechtsmittel vorgesehen ist.

Der schlechte Ruf, in den die Jugendbehörden geraten waren, schlug sich im Titel einer 1996 an der Evangelischen Akademie Bad Boll durchgeführten Tagung „Kindeswohl“ Dilemma und Praxis der Jugendämter mit dem Untertitel „Wir sind doch keine Kinderklaubehörde !“ nieder. Auf dieser Tagung hielt ein hoher Ministerialbeamter einen Vortrag, in dem er über die Wegnahme von Kindern aus ihrer Familie unter anderem sagte: Da es für das Jugendamt viel aufwendiger und belastender ist, die Herkunftseltern bei der Verbesserung ihrer Gesamtsituation und bei der Pflege beständiger Kontakte zu ihrem Kind ausreichend zu unterstützen, als die Herkunftsfamilie „ihrem Schicksal“ zu überlassen und Kontakte zum Kind zu erschweren, wird befürchtet, dass viele Jugendämter gewollt oder ungewollt die Voraussetzungen für den dauernden Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie schaffen“(epd Dokumentation 6/97). Dies blieb ungehört, so dass sich nichts änderte.

Noch ist die Frage, wie es zu solchen Fehlleistungen kommen kann, nicht ganz beantwortet. Dazu ein Zitat aus einer Handreichung des Kreisjugendamtes Böblingen vom 27.06.2005:

„Entscheidungen in Krisensituationen beruhen auf Prognosen... Auch bei sorgfältiger Prüfung lassen sich Fehlentscheidungen nicht ... ausschließen.“

Die vorliegende Handreichung

„stellt auch sicher, dass das Jugendamt .... nachweisen kann, alles .... getan zu haben. Damit sind auch die einzelnen fallverantwortlichen Fachkräfte im Jugendamt vor Schuldvorwürfen oder strafrechtlicher Verfolgung geschützt“.

Im Klartext heißt das, Entscheidungen von schicksalhafter Tragweite werden von Behördenmitarbeitern getroffen, die auch bei vorsätzlich verantwortungslosem Handeln nicht haftbar gemacht werden können. Das nennt man einen rechtsfreien Raum.

Um der Wahrheit willen ist auch zu sagen, bei den Jugendämtern gibt es Frauen und Männer, die wegen ihrer Menschlichkeit und ihres Verantwortungsbewusstseins alle Hochachtung verdienen. Sie sind jedoch in der Minderzahl.

Es bleibt die Hoffnung, die Bundesregierung mache ihre Ankündigung wahr, auch das Familienrecht, zu dem das Kinder- und Jugendhilferecht gehört, zu reformieren, wobei die Unterstellung der Jugendämter unter die Fachaufsicht durch die Landesjugendämter, wie vor 1991, zu den dringendsten Erwartungen gehört.“

(Zitat Ende)

Soweit Prof. Klenner an Franz Romer.